Spurensuche

31 Aug Spurensuche

RIG hat ja bereits ausführlich über die Klavieraufnahmen berichtet. Dem ist auch nichts hinzuzufügen. Daher dachte ich mir, es wäre vielleicht interessant für euch,  einen nicht minder ausufernden Bericht zu den sich ewig hinziehenden Gesangsaufnahmen zu verfassen. Manch einer von euch fragt sich vielleicht, wie es sein kann, dass ich das Klavier an gerademal zwei Tagen einspiele, RIG seinen Gesang aber nach zwei Monaten noch nicht abgeschlossen hat.

Um dieses Rätsel zu lösen, muss man eine kleine Reise in die JANUS-Vergangenheit machen und auf Spurensuche gehen. Im wörtlichen Sinne! Denn dadurch, dass JANUS immer schon mehr Studio Projekt als Band im klassischen Sinne war, glich das Aufnehmen des Gesangs schon immer eher einem Selbstfindungs- denn einem Schaffensprozess, wobei die zur Verfügung stehenden Spuren quasi den verschiedenen Stimmen in RIGs Kopf entsprachen.

 

Dabei begann in den Neunzigern alles ganz einfach. Wir hatten ja nur 2 Spuren: Die Aufnahmen wurden mit einem normalen Kassettenrekorder durchgeführt, wobei Keyboards und Sampler von einem Midi-Sequenzer gesteuert wurden und über ein Mischpult mit dem Gesang (1 Kanal) gleichzeitig aufgenommen wurden. Eine Situation, die von RIG und mir gleichermaßen als unbefriedigend wahrgenommen wurde.

Also kamen wir zu 4 Spuren: In der nächsten Stufe der Evolution hatten wir (leihweise) ein richtiges Tonbandgerät zur Verfügung, mit dem man ganze 4 Spuren abspielen konnte. Wir hatten nun also je 2 Spuren für die Musik und den Gesang, z.B. eine Hauptstimme und einen Overdub. Es dauerte ein paar Abende, bis wir begriffen, dass das nicht wirklich ausreichte.

So kamen wir zu 8 Spuren: Ein gefühlter Quantensprung. RIG schleppte den unförmigen Kasten, einen grauen Tascam-Recorder, regelmäßig mit nach Hause. Zwei Spuren beheimateten das Playback als Mixdown. Auf den 6 restlichen Spuren, die er nun besingen konnte, experimentierte RIG erstmalig ausführlich mit Chorarrangements, indem er immer jeweils 4 Spuren Chor auf 2 zusammenmischte, so dass er wieder 4 Spuren frei hatte und das Ganze erneut begann. Die Gesangsarrangements von „Isaak“ und „Der Flüsterer im Dunkeln“ entstanden auf diese Weise. Es begann mit geschrienen, geflüsterten und verzerrten Hintergrundspuren und entwickelte sich allmählich zur ganzen Bandbreite JANUS-typischer Vokalpassagen. Der Tascam leistete auch deshalb einen wesentlichen Beitrag zur Bandentwicklung, weil RIG damit erstmals den Gesang in einer, nennen wir es „Privatatmosphäre“, entwickeln und aufnehmen konnte. Gesangsaufnahmen fanden bis dato nämlich buchstäblich zwischen Tür und Angel statt. Es waren meist irgendwelche Leute mit im Raum, die ebenfalls im Studio abhingen, oder wir waren mehr mit den Tücken der Technik beschäftigt als mit dem Gesang. RIG entwickelte in dieser frühen Schaffensperiode eine ausgeprägte Leidenschaft fürs Tüfteln an den Gesangsarrangements, was dann in den letzten Evolutionsstufen der Aufnahmetechnik vollends eskalierte.

Der Durchbruch kam Anfang 2000 mit 16 Spuren. Wir waren beim HD Recording gelandet und hatten alles zur Verfügung stehende Kapital in eine hochmoderne Pro-Tools-Maschinerie gesteckt. JANUS nahmen jetzt komplett mit dem Computer auf und hatten die Möglichkeit 16 Spuren gleichzeitig ablaufen zu lassen. Außerdem konnten wir diese Spuren auf 2 Spuren (Stereo rechts und links) zusammenmischen und dann z.B. als 16-stimmigen Chor auf 2 Spuren in einem neuen Mix verwenden. Die Vielfalt der Möglichkeiten erschien uns nahezu unbegrenzt. Noch wichtiger als die Erweiterung der Aufnahmespuren war jedoch die Möglichkeit, nun sämtliche Einstellungen des Mischpultes zu programmieren. Lautstärke, Panorama, aufgehende Hallfahnen oder einfliegende Echos, was vorher alles von Hand und in Echtzeit live beim Mixen gemacht werden musste, ließ sich nun mit wenigen Klicks, für alle Zeiten reproduzierbar, programmieren. So richtig durchgedreht ist RIG jedoch, als er die Möglichkeit erkannte, einzelne Zeilen, Worte, sogar Silben aus verschiedenen Aufnahmen zu kombinieren. Zum Verständnis mal ein Beispiel: Die aufzunehmende Textzeile lautete etwa: „Der Teufel, er tanzt es mit mir“. Wir nehmen diese Stelle 3 mal auf und hören sie konzentriert durch, um den besten Take auszuwählen. Die ersten beiden Worte sind bei Take 1 am besten, der Rest bei Take 3, außer das Wort „tanzt“, das bei Take 2 am besten war. Und so besteht die fertige Gesangsspur am Ende aus unzähligen Schnipseln, die in liebevoller Kleinarbeit zusammengepuzzelt werden. Manchmal bemerken wir jedoch erst nach dem berüchtigten nächtlichen Durchhören, dass uns bei all der Bastelei das Natürliche abhanden gekommen ist. Dann geht alles wieder zurück auf Anfang und wir beginnen von vorne. So langsam dämmert euch wohl, weshalb bei JANUS die Dinge gerne mal länger dauern.

Als wir mit JANUS 2015 auch im Studio immer mehr Aktivität entwickelten, war der Schritt zu 160+ Spuren nicht mehr weit. Im Grunde spielt die Anzahl der Spuren gar keine Rolle mehr, etwas, dass wir alte Säcke erst begreifen mussten. Aber es hat schnell „klick“ gemacht und jetzt wird für jede Zeile, die irgendwie anders ist einfach eine eigene Spur aufgemacht, so dass man auf die vielen aufwendigen Automationen weitestgehend verzichten kann.

RIG  und ich begannen mit dem Gedanken zu spielen, dass es eine neue JANUS-Produktion geben könnte. Uns war schnell klar, dass ausgedehnte Studiosessions, in denen Tag und Nacht verwischten und wir beide inmitten Dönerresten und Pizzakartons abtauchten, unwiederbringlich der Vergangenheit angehörten. Stattdessen mussten wir zu einer Art dezentraler und unabhängiger Arbeitsgruppe werden, mit Präferenz auf Flexibilität und Datenverfügbarkeit.

Und so konnte RIG sich einen Wunsch erfüllen, den er schon lange hegte. Keine stundenlangen Autofahrten mehr ins Nachtschicht-Studio, um dann festzustellen, dass irgendwie keine rechte Stimmung aufkommen wollte; keine endlosen Gesangsaufnahmen in durchgeschwitzten T-Shirts, weil die Aufnahme durchgezogen werden muss; kein Sauerstoffmangel in hermetisch geschlossenen Aufnahmekabinen. Stattdessen zwei spiegelbildliche Workstations, in RIGs und in meinem Keller, die über einen Exchange-Server in der Cloud synchronisiert sind. Technik war für JANUS schon immer etwas wundervolles.

Und so gestalteten sich die auch Gesangsaufnahmen zu unserem neuen Album „ Ein schwacher Trost“ anders als alle bisherigen. Für die wichtigsten Aufnahmen oder knifflige Passagen, trafen wir uns wie gewohnt. Ich bediente die Technik und gab die Regie, damit RIG sich voll auf seinen Gesang konzentrieren konnte. Aber RIG verbrachte sowohl im Vorfeld zur Vorbereitung als auch für die eigentlichen Aufnahmen sehr viel Zeit alleine in seinem im Keller, beschäftigt mit dem Ausprobieren unterschiedlicher Phrasierungen, variierendem Timbre, Textanpassungen und insbesondere mit wilden Overdubs und Chören. Die Spontanität der alten 8 Spur-Zeit war zurück und wenn es sein musste, konnte RIG einer plötzlichen Eingebung folgend in Shorts und Pantoffeln in den Keller stürmen, um hinter schallgeschützten Türen für das neuste Lied eben mal schnell eine spontane Idee aufzunehmen. Und falls nach 15 Minuten die Luft raus war und sich die Idee doch als Blödsinn herausgestellt hatte, war es auch nicht weiter schlimm. Viel öfter aber erreichten mich zu unchristlicher Zeit unvollständige SMS-Nachrichten aus dem Knochenhaus, irgendetwas bahnbrechend Neues sei irgendwo hochgeladen, das ich mir sofort anhören müsse.

Da der gesungene Text das Gesicht, oder sogar noch mehr, die Seele eines Liedes darstellt und die reduzierten Arrangements von „Ein schwacher Trost“ besonders viel Raum für den Gesang ließen, hat sich die, durch unsere neue Arbeitsweise freigesetzte Kreativität ganz besonders stark bemerkbar machen können. Auch wenn RIG nach dem letzten Take für „Ein schwacher Trost“ wie gerädert aus dem Keller nach oben taumelte, um mit mir zusammen ein Bierchen zu zischen, so muss ich jetzt in der Rückschau sagen: es hat sich wirklich gelohnt! Die Aufnahmen gehören zum besten, das RIG in all den, an Höhepunkten nicht armen Jahren zustande gebracht hat.

Nicht mehr lange und wir werden unseren Schatz mit euch teilen. Ich kann es kaum erwarten!

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