INTERVIEW TOBY: „Da ist einiges, das verarbeitet werden musste!“

03 Dez INTERVIEW TOBY: „Da ist einiges, das verarbeitet werden musste!“

Gerade wenn man denkt, das JANUS für ihre Verhältnisse doch ganz schön aktiv waren 2020 und jetzt mal langsam Ruhe einkehren müsste, belehren die alten Herren einen eines besseren. In diesem speziellen Fall ist es Toby, der nach RIGs Alleingang bei „Abglanz“ mit einem kompletten Soloalbum namens „Rückzug“ gleichzieht. Das sehr persönliche Album wirft viele Fragen auf, so dass Diana Busch mehr als gespannt war, was Toby ihr berichten würde. Ausnahmsweise und natürlich Corona geschuldet, nicht im Keller des Knochenhauses, sondern rein virtuell.

Hallo Tobias. Schön, dass du dir Zeit genommen hast, mit mir über „Rückzug“ zu sprechen.

Toby: Ja, ich freue mich auch dass es geklappt hat, obwohl es schade ist, dass wir uns diesmal nicht persönlich treffen, sondern nur ein Telefoninterview machen können. Und das führt uns ja schon fast zum Thema von Rückzug. Egal, wir machen einfach aus der Situation das Beste.

Genau, steigen wir direkt ein: Während alle auf „Terror“ warten, dreht ihr uns hier erneut eine Nase und du veröffentlichst mal eben so dein erstes Soloalbum. Hand aufs Herz, wie lange planst du schon diesen Coup?

Toby: Coup passt in dem Fall nicht, eher Überraschung. Und zwar für alle Beteiligten. Die Arbeit an „Terror“ läuft ja bereits seit Jahren und ist Mitte diesen Jahres auf die Zielgerade eingeschwenkt. Wer uns kennt, weiß, dass uns auch während der laufenden Produktion immer wieder mal wirre Ideen kommen können. So kam zum Beispiel die Veröffentlichung des Liedes “Der lange Weg zurück“ im Frühjahr zu Stande. Im Anschluss an diese Veröffentlichung wollte ich gerne mal am Klavier ein paar neue, musikalische Ideen austesten. Und dann hat sich das irgendwie verselbstständigt. Ich habe RIG ein paar Skizzen vorgespielt und wir haben am Telefon gemeinsam überlegt, ob man daraus ein instrumentales Album mit Klavier entwickeln kann, quasi ein Soloalbum. Am Ende des Gespräches kamen wir auf eine mögliche Veröffentlichung zu sprechen und RIG war mindestens so überrascht wie ich selbst, als ich mich sagen hörte: „Es muss Material für ein komplettes Album zusammenkommen und ich will es noch 2020 veröffentlichen. Und plötzlich war er da, der Plan. Also habe ich mich ans Klavier gesetzt und losgelegt. So viel zum Coup.

Mal frech gefragt, wieso ein Soloalbum? Bist du mit JANUS nicht schon voll ausgelastet?

Toby: JANUS ist ganz klar das Zentrum meines musikalischen Schaffens, obwohl ich gestehen muss, dass diese Liebe nicht ganz monogam ist. Zu der Zeit, als ich hauptberuflich Musik produziert habe, hatte ich Gelegenheit mit ganz unterschiedlichen, teilweise brillanten Künstlern zusammenzuarbeiten. Ich denke da gern an unser Projekt Persephone zusammen mit Sonja Kraushofer und Martin Höfert, an die Produktionen mit Alex Kaschte oder auch an Anna-Varney zurück, an die ich mich alle aus ganz verschiedenen Gründen während der Aufnahmen zu „Rückzug“ immer mal wieder erinnert gefühlt habe. Die Idee ein Album mit Klavierstücken zu machen, hatte ich tatsächlich schon sehr lange. Mir schwebte dabei immer ein Klassik-Elektronik-Mix vor, ohne jedoch eine genauere Vorstellung zu haben, wie das klingen würde. Eine Freundin von mir ist Konzertpianistin, eine gebürtige Japanerin, die in Mailand lebt. Mit ihr wollte ich dafür zusammenarbeiten und dabei den elektronischen Part übernehmen. Für „Rückzug“ hat sich diese Kooperation, leider vor allem aufgrund der schwierigen äußeren Umstände, nicht ergeben. Vielleicht holen wir das irgendwann noch nach.

Es ist mutet etwas seltsam an, das bei einem reinen Instrumentalalbum zu fragen, aber worum geht es bei „Rückzug“? Was ist die Geschichte des Album? Ich hatte jedenfalls beim Hören das Gefühl, es gibt eine.

Toby: Ja, natürlich gibt es ein Thema. Im Gegensatz zu einer erzählten Geschichte in einem Lied lassen instrumentale Stücke natürlich viel mehr Raum für Interpretation. Rückzug hat für mich einerseits eine angenehme Bedeutung, im Sinne von: Zurückziehen an einen geschützten Ort, um sich zu erholen und Kraft zu schöpfen. Der Anlass für einen Rückzug ist in der Regel aber meist weniger angenehm. Eigentlich soll es ja immer vorwärts gehen: höher, schneller, weiter. Rückzug wird befohlen, wenn eine Niederlage droht oder die Situation aussichtslos ist. Dann geht es darum, sich zu retten, um die Möglichkeit zu haben, es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu versuchen. D.h. der Anlass ist eine Niederlage oder ein Scheitern. Diese Ambivalenz von Scheitern und Rettung fasziniert mich und zieht sich wie ein roter Faden thematisch durch alle Stücke. Dabei spielt auch die Pandemie eine wichtige Rolle, die über uns alle hinweggerollt ist, wie ein Tsunami und alles mit sich fortgerissen hat. Die Situation, so auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, hat bei mir einiges ausgelöst, das verarbeitet werden musste.

Das führt mich direkt zur nächsten Frage: Welche Bilder und Gefühle wolltest du mit deinem Album beim Hörer hervorrufen, beziehungsweise welche ruft es bei dir selbst hervor?

Toby: Also beim Komponieren denke ich ehrlich gesagt überhaupt nicht an die Wirkung, oder überlege mir, was die Hörer sagen werden. Für mich ist Musikmachen im wesentlichen ein Ventil. Eine Methode, um Dinge zu verarbeiten mit denen ich nicht klarkomme. Natürlich gibt es viele Gründe, Klavier zu spielen. Aber für mich ist es dann am wichtigsten, wenn es mir richtig schlecht geht. Dann kann ich dieses Gefühl mit Musik in etwas besonderes verwandeln und aus etwas Schlechtem etwas Schönes machen. Das muss man sich wie Therapie vorstellen. Bei den Stücken für „Rückzug“ ging es mir um die Vereinbarkeit von Gegensätzen, die untrennbar miteinander verbunden sind. Stilistisch findet sich das in der Instrumentierung wieder. Auf der einen Seite gibt es nur das Klavier und bei zwei Ausnahmen auch die Stimme, auf der anderen Seite elektronische Klänge. Den Gegensatz habe ich oft noch verstärkt, indem ich bei der Elektronik viel mit Verzerrung und Verfremdung gearbeitet habe, während das Klavier fast gänzlich ohne Effekte eingesetzt wird. In den Stücken versuche ich zwischen diesen scheinbaren Gegensätzen eine Balance zu schaffen, um sie wie eine Einheit wirken zu lassen, um dann ein zu Grunde liegendes Gefühl zu beschreiben: kraftvoll, traurig oder dissoziativ.

Wie sind denn die Lieder entstanden? Was war zuerst da: das Klavier oder die Elektronik?

Toby: Die Stücke für „Rückzug“ haben alle mit einer Idee am Klavier begonnen. Dafür ist es besonders förderlich wenn es stockdunkel ist. Keine Ahnung, aber Licht stört meine Kreativität. Entstanden sind dann erste Harmonien oder ganze Melodien, als Ausgangspunkt für die Komposition. Danach war der Workflow sehr unterschiedlich. Es gab Stücke wie „Die guten Momente sind endlich“, wo ich sehr frei improvisiert und danach die Passagen kombiniert habe. Andere Stücke wurden komplett ausgearbeitet, bevor ich sie aufgenommen habe, z.B. „Anderen geht es schlechter“. Oder ich habe mit einzelnen Loops gearbeitet, wie bei „ Ein letztes Aufbäumen“, die ich dann mit dem Sampler zusammengesetzt habe. Gemeinsam ist allen Stücken, dass ich zuerst das Klavier aufgenommen und dann die elektronischen Parts drum herum gebastelt habe.

Das tolle Artwork von Illustratorin Jana Heidersdorf ist gleichzeitig beängstigend und beruhigend. War diese Ambivalenz zusammen mit dem Albumtitel beabsichtigt? Weshalb ausgerechnet dieses Bild als Cover?

Toby: An der Auswahl des Artworks für das Cover war RIG schuld. Als ich noch mitten in der Findungsphase war, mit einem riesigen Haufen zusammenhangloser Klaviermelodien, hat er mir per WhatsApp das Bild geschickt. Ich war sofort begeistert. Kann man das Nest auf dem Bild doch einerseits als sicheren Zufluchtsort verstehen, aber auch als etwas bedrohliches, angsteinflößendes. Jedenfalls weiß man nicht, ob man dem Vogel raten möchte hinein zu gehen oder doch lieber ganz schnell wegzufliegen. Und auf die Entfernung sieht das Nest fast wie ein Herz aus, oder? Was hat das zu bedeuten? Auf mich wirkt das Bild träumerisch, melancholisch aber auch irgendwie verstörend und genau diese Mehrdeutigkeit gefällt mir total gut und passt hervorragend zu dem, was ich mit den Stücken ausdrücken möchte. Jedenfalls hat das Bild die ganze Produktion begleitet und das Thema Nest ist irgendwie hängengeblieben.

Du hast mir Bilder der Foto Session mit Olli Haas für „Rückzug“ gezeigt, wo das Thema Nest auch eine zentrale Rolle spielt. Man sieht dich so verletzlich und nackt wie nie zuvor. Letzteres sogar im wörtlichem Sinne. Ist dir das schwer gefallen, so die Hosen runterzulassen?

 Toby: Ja auf jeden Fall. Aber es ging nicht anders. Ich wollte unbedingt Fotos machen, um das Thema von „Rückzug“ um eine visuelle Komponente zu erweitern. Wenn ich mich zurückziehen möchte, gehe ich meistens raus in die Natur. Ich liebe es im Freien zu sein, besonders im Wald. Als ich Olli bei der Vorbesprechung für die Foto-Session erklärt habe, dass mein persönlicher Rückzugsort, der Ort wo ich mein Nest bauen würde, irgendwo im Unterholz ist, hat er noch sehr professionell die Fassung bewahrt. Als ich dann mit einem halben Wald im Kofferraum vor seinem Studio aufgekreuzt bin, war ihm die Verwunderung deutlich anzusehen. Dann ist es allerdings er gewesen, der mit seiner besonderen, intuitiven Arbeitsweise, die unstrukturierten, um nicht zu sagen wirren Ideen in geordnete Bahnen gelenkt hat. Das Ergebnis ist eine spektakuläre Serie von sehr persönlichen Bildern, die genau das ausdrücken, was ich mir erhofft hatte. Ich weiß gar nicht, ob ihm das so bewusst ist, aber da die Fotos mitten in der Produktion von Rückzug entstanden sind, waren sie für mich eine zusätzliche, wertvolle Orientierungshilfe, wo ich eigentlich stehe und wo ich mit den Stücken hin will. So gesehen war Olli also auch eine Art Co-Producer, der mit seinem unverwechselbaren Stil die Musik mit geprägt hat.

Das Album ist bisher über Bandcamp veröffentlicht worden. Gibt es auch Pläne für andere Editionen, z.B. eine normale CD oder eine Schallplatte?

Toby: Nein, bisher gibt es solche Pläne nicht. Natürlich fehlt der digitalen Veröffentlichung das Haptische, das erlebbar Gefühl etwas erworben zu haben, dass ich in den Händen halten kann und das mir Freude macht. Andererseits findet Musikhören mittlerweile fast ausschließlich digital statt. Aber ich sehe das nicht dogmatisch und kann mir ehrlich gesagt alles mögliche vorstellen. Deshalb ist eine spätere Veröffentlichung auf CD oder Schallplatte durchaus möglich. Ich fände auch eine Edition, die aus einer Kombination von Filmaufnahmen, Fotos und Musik besteht spannend. Aber eines nach dem anderen. Das Tolle an der digitalen Distribution ist, dass die Musik einfach und unmittelbar zu bekommen ist. Das war auch der wesentliche Grund, vorerst diesen Weg zu gehen.

 Ich finde ja „Das Nest“ nochmal besonders großartig innerhalb eines sehr homogenen Albums. Hast du auch einen persönlichen Liebling und wenn ja, welches Lied ist es weshalb?

Toby: Ich kann mich für kein einzelnes Stück entscheiden. Für mich ist es eher eine Einheit aus insgesamt neun Stücken, die im Rahmen des Albums „Rückzug“ eine Reise mit einzelnen Stationen beschreiben. Jede Station hat ihre Berechtigung und Bedeutung und würde man eine weglassen, wäre die Reise nicht dieselbe oder sogar unvollständig.

Deine Stimme ist ja bei ein paar Liedern singenderweise zu hören, was das Ganze nochmal persönlicher macht, wie ich finde. Hattest du an einem bestimmten Punkt auch mal die Idee, für „Rückzug“ auch Texte zu singen, so wie du es früher getan hast?

Toby: Tatsächlich, bei meinen ersten Ideen gab es auch Stücke, in denen ich singen wollte. Ich hatte zum Beispiel mit dem Gedanken gespielt, eine alte Komposition von mir zu überarbeiten. Dabei handelt es sich um die Vertonung eines Gedichtes in Mittel-Hochdeutsch, von Walther von der Vogelweide. Als dann aber das Konzept für „Rückzug“ immer konkreter wurde, hat das nicht mehr rein gepasst. Vielleicht nehme ich es später noch einmal auf. Es gibt nur zwei Stücke, für die ich so eine Art Chor aufgenommen habe, allerdings ohne Text. Es ist das erste und das letzte Stück. Damit bilden sie eine Klammer, die das Album zusammenhält, den Anfang und das Ende kennzeichnen aber auch den Kreis schließen, so dass alles wieder von vorne beginnt.

Gibt es denn schon Pläne für weitere Soloalben von dir oder wird „Rückzug“ eine Ausnahme bleiben?

Toby: Ich bin nicht so der Typ für feste Pläne. Ich improvisiere lieber. Bei Rückzug war es ja auch eher so, dass mich ein Thema so beschäftigt hat, dass ich die Musik dafür machen musste. Allerdings hat die Produktion extrem viel Spaß gemacht und macht auf jeden Fall Lust auf eine Fortsetzung. Und es ist ja auch nicht so, dass es an Themen mangelt. Die Zukunft liegt zwar im Nebel, aber von einer einmaligen Ausnahme würde ich Stand heute nicht ausgehen.

Das klingt doch sehr zuversichtlich und macht Lust auf mehr! Vielen Dank für deine Zeit, Toby.

Toby: Ich habe zu danken. Nächstes Mal dann wieder in echt und vielleicht sogar maskenlos, wer weiß…

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