Rezension – Nachtmahr – Neo-Form

13 Sep Rezension – Nachtmahr – Neo-Form

„Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will.“ Schon bei der ersten Berührung mit dem neuen Album von JANUS , bekommt man das Gefühl ein wahres Werk in den Händen zu halten. Ein Buch, das Geschichten zu erzählen vermag, ein Titel, der verheißungsvoll über dem wundervollen Cover thront: Nachtmahr.

Ein wahrer Schatz für Sammler: Das Artwork vom italienischen Künstler Alessandro Bavari ist wie geschaffen um JANUS ‚ Texte und Musik zu visualisieren. Seine digitalen Photomontagen transportieren eine passende kühl-surreale Atmosphäre, die sich harmonisch an die poetisch-düsteren Texte schmiegt.

Ein Werk wie dieses benötigt unbedingt das passende Ambiente um gehört zu werden. Man sollte die Dämmerung abwarten, auf elektrisches Licht verzichten und alle Sinne auf das Album richten.
Mit „Ein Hund, der sich hinlegt wo er will“ ist JANUS ein Opener gelungen, der Nachtmahr sofort definiert: Eine unwahrscheinliche Wucht an orchestralen Arrangements, die charakteristisch rezitierende Stimme von Dirk Riegert und die Geschichte eines alten Mannes, der sich an Stalingrad erinnert, fesseln vom ersten Moment an. Eine Gänsehautstimmung baut sich langsam auf, die bis zum Ende nicht gelindert werden wird.

Schon beim nächsten Lied „Anita spielt Chello“ wird klar, dass sich die düstere, bedrohliche Kriegsthematik durch das gesamte Album ziehen wird. Den Grundstein zu diesem Lied legte das Buch der Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, in dem sie ihr Überleben in Ausschwitz und Bergen-Belsen schilderte. Dem ganzen Lied wohnt eine nüchtern klarer Gesang bei, der einen gezielten Kontrast zum inhaltsschweren Text bildet.

„Kinderkreuzzug“ erinnert beinahe an ein Hörbuch, eines, das eine traurige Geschichte erzählt. JANUS  ließen sich hier von Brechts gleichnamiger Ballade inspirieren.Das Lied verfügt über kein festes Tempo, es erzählt, reisst mit. Riegert schafft es, mit seiner Stimme einen Spannungsbogen aufzubauen, der seinesgleichen sucht, passend begleitet von unterschiedlichsten Instrumenten und wunderschönen Klavierpassagen, die die Traurigkeit der Thematik sanft unterstreichen.

Mit „Dorinas Bild“ erreichen wir den ersten Höhepunkt auf „Nachtmahr“. Es ist eine Liebeserklärung eines sterbenden Soldaten, Blechbläser und bombastische Chöre stehen für die Naturgewalten der Alpen; Streicher und Glockenspiele symbolisieren die fieberhaften Visionen des Sterbenden.

„Kadaverstern“ ist die erste Coverversion von JANUS . Das Original stammt aus der Feder von Heinz Rudolf Kunze, fügt sich aber wie das Tüpfelchen auf dem I in die Nachtmahr Thematik ein. Durch die Saxophonpassagen erhält „Kadaverstern“ beinahe einen jazzigen Touch. Mit „Nellie“ gelangen wir an eine Nummer, die ich als JANUS -untypisch erachten würde. Die triste Leidensgeschichte einer Frau, musikalisch gesehen minimalistisch und jazzig begleitet.

„Was uns zerbricht“ war mein persönliches Geschenk auf diesem Album. JANUS Liebhaber werden es von der Winterreise MCD kennen, die leider schon lange ausverkauft ist. Hier bildet es einen wunderbaren Übergang zu dem fragilen Stück „Sag doch was“, in dem Riegert sich direkt ins Herz singt und man als Hörer förmlich zu spüren bekommt, das man nun am persönlichen Part des Albums angelangt ist.

Das Duett „Grabenkrieg“ ist ein weiterer Höhepunk des Albums. Diana Nagel, die schon öfter live mit Janus auf der Bühne stand, gibt diesem Lied ihre ganz eigene Note. Ihre durchdringliche, geschulte Stimme passt hervorragend zu Riegerts Vocals. Ein eingängiger Refrain und das Wechselspiel der beiden Stimmen zeichnen diese theatralisch-dramatische Nummer, die Riegert als „orchestralen Rosenkrieg“ beschreibt, aus.

„Die Ruhe selbst“ verbreitet eine unangenehme Stimmung; es zeigt, wie einfach es wäre, sein Leben auszulöschen. Durch Riegerts hohen Gesang wird die unangenehme, angespannte Atmosphäre noch verstärkt. Mit „Das Gesicht“ endet eine Reise durch das Traumland von JANUS . Ein zweiter alter Bekannter von „Winterreise“, der hier einen würdigen Platz gefunden hat. „Das Gesicht“ wird einem noch lange im Ohr klingen: Das langsame Tempo, die wunderschönen Streicher und ein Geigensolo lassen wieder Ruhe einkehren. Die Stimme samtig, ruhig und klar singen diesmal in einen ruhigen Schlaf.

Nachtmahr beinhaltet eine Bonus-CD „Die Alpträume des Herrn Riegert“, eine Art Hörbuch, das von feinsten Tonspielereien unterlegt wird. Abschließend ist zu sagen, dass man es hier mit einem Werk zu tun hat, keine leichte Kost, musikalisch äusserst wertvoll, voll von pompöser orchestraler Untermalung, echten Instrumenten, einem Konzept und Musikern, die ihr Handwerk beherrschen.

Man muss sich nur darauf einlassen…

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