Live Review – Mannheim 2015 – Stage Reptiles

15 Mai Live Review – Mannheim 2015 – Stage Reptiles

JANUS… die etwas andere Band. Beheimatet in der Gothic-Szene, verbreiten JANUS in der Gestalt von Dirk “RIG” Riegert und Tobias “Toby” Hahn seit nunmehr 20 Jahren die dunklen Fantasien und Alpträume aus den Tiefen ihrer schwarzen Seelen. Eine Jubiläumstour sollte es sein, und in der JANUS-Realität beschränkt sich diese “20 Jahre JANUS“-Tour auf gerade mal vier Konzerte. Mannheim war der Abschluss der Tour und im dortigen Capitol wurde anlässlich des Jubiläums eine Blu-Ray mitgeschnitten.

Als langjähriger JANUS-Jünger konnte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und so machten Kyra und ich uns auf die 400 Kilometer-Reise aus dem Süden Bavarias in die Stadt zwischen Rhein und Neckar. Bei Ankunft stand schon viel schwarzgekleidetes Publikum vor den Toren des Capitols. Abendgarderobe (JANUS hatten darum gebeten) wechselte sich mit szenetypischer Gewandung ab. Nachdem die Fangemeinde ihre Plätze im bestuhlten Rund der altehrwürdigen Location eingenommen hatte, ging es um 20:00 Uhr pünktlich los.

Schon beim Betreten der Bühne wurde die Band frenetisch gefeiert. Nach zwei, drei Worten zur Begrüßung wurde ein kleiner Block aus dem Schlafende Hunde-Album aus dem Jahr 2000 dargebracht. “Hotel Eden”, “Gescheitert”, “Reptil” und “Verflucht” waren die ersten vier Songs und ein jeder wurde bejubelt. RIGs Stimme klang klar durch die Halle und die Band spielte perfekt auf dem Punkt. Dass RIG eine schwere Erkältung plagte, merkte man dem Sänger anfangs in keinster Weise an. Er lebte die Songs geradezu mit, was sich in Intonation, Gestik und Mimik dem Publikum zeigte. Der neue Track “Wehrlos”, erstmals dargebracht 2014 auf dem Amphi-Festival und aufgrund der vergessenen Lyrics auch meistens als Alzheimer-Version betitelt, klappte diesmal auf Anhieb und schüttelte den Alzheimerstatus komplett ab.

“Kommt herunter” und “Mein krankes Herz”, ebenfalls von der Schlafende Hunde-CD folgten darauf. “Die letzte Tür”, erschienen auf dem Kleine Ängste-Hörbuch von 2004 war der nächste Track, ehe es mit “Die Ballade von Jean Weiss” zurück in die Anfangstage von JANUS ging. Der ’97 nur auf der ersten, auf 500 Exemplare limitierten Demo-Version von Vater veröffentlicht, und erst 2006 mit der Vater Deluxe der jüngeren Fangemeinde wieder zugänglich gemachte Song war eine kleine Überraschung. Erzählt wird die Geschichte vom Häftlingshelfer Jean Weiss aus dem KZ Auschwitz, der dem Sanitätsdienstgrad (SDG) Josef Klehr bei der Exekution vieler Häftlinge helfen muss, insbesondere seines eigenen Vaters.

Bassist Oliver Lutz wechselte zwischen den Songs des Öfteren zwischen E-Bass und akustischem Kontrabass. “Was uns zerbricht” vom Nachtmahr-Album und “Veronica” aus Schlafende Hunde bildeten den Abschluss des ersten Blockes. Die Band blieb hinter den Kulissen, Toby nahm hinter dem Flügel Platz und RIG setzte sich lässig an den Bühnenrand, als die lautgewordenen Gedanken der beiden zu Mannheim aus den Boxen kamen. RIG und Toby agierten nur mit sparsamer Mimik und Gestik, die Lachsalven aus dem Publikum zur Folge hatten. Beide waren sichtlich gut drauf und mussten sich das Lachen selbst oft verbeißen, was aber meistens nicht gelang.

Den zweite Teil nach dem kurzen Gedanken-Intermezzo bestritten die beiden anfangs allein. Der zerbrechliche Song “Dorinas Bild”, welches aus der Sichtweise eines Soldaten im Schützengraben erzählt wird, wurde so einfühlsam von RIG vorgetragen, dass man das Gesicht jenes Soldaten zu deutlich vor den Augen hat und mitfühlt. Der nächste Vater-Track, “Exodus”, war sicherlich das Schicksal vieler, die in den Weltkriegen dabei waren. Hier wird der Zwiespalt eines Mitglieds des Warschauers Judenrates erzählt, der täglich 6000 Juden aus dem Ghetto auswählen musste, die dann im Vernichtungslager Treblinka vergast wurden. “Das Gesicht” aus Nachtmahr folgte, nur begleitet von der Violine von Sue Ferres, ehe RIG einen kleinen Block aus dem Vater-Komplex ankündigte.

Eine sehr zerbrechliche Version von “Saitenspiel”, bei der neben Sue Ferres auch Gitarrist Alex Mennie mitspielte, bildete dabei den Anfang und für mich einen der Höhepunkte des Konzertes. War es doch “Saitenspiel”, eine Geschichte um Gustav Mahler, das mich zu einem JANUS-Jünger werden ließ, als ich den Track das erste Mal in einem Club hörte und lieben lernte. Die Intensität, mit der RIG den Inhalt der Songs in Gefühlen rüberbrachte, war bemerkenswert. Selten sieht man einen Künstler, der seine Texte auf der Bühne richtiggehend auslebt.

“Isaak”, ursprünglich nur auf Maxi-CD zu finden und erst wieder auf der Vater-Deluxe Version, ein adaptierter Auszug aus dem Ersten Buch Mose wurde gefolgt von “Der Flüsterer im Dunkeln”, einer mehr als acht minütigen Hymne und dem zentralen Thema des Vater-Albums. Die Kindheit H.P. Lovecrafts, insbesondere der Tod seines Vaters, beschrieben wie einer seiner eigenen Horrorgeschichten. Die Textzeile daraus – “Alt und wirr, zitternd, stumm, die Knochen morsch, der Rücken krumm. So sind mir die Götter erschienen, Vater war einer von ihnen.” – finden sich auch auf dem Rücken eines JANUS-Shirts. Bei den beiden Songs spielte Sue Ferres eine Nyckelharpa, ein seit dem Mittelalter bekanntes Streich- und Tasteninstrument, ähnlich einer Kniegeige. Mittlerweile merkte man RIG auch seine schwache Konstitution an, die Stimme bei den Ansagen zwischen den Liedern kratzte merklich.

Für die erste Draufgabe kam die komplette Band wieder auf die Bühne, zu der neben den bereits erwähnten auch noch Schlagwerker Lothar Weise, Michael Gambacurta an Percussion und Vibraphon und Daniel Schröder an Querflöte und Klarinetten gehörten. “Ich will seinen Kopf”, ein blutrünstiger Song vom Auferstehung-Album, “Kafka” in der Version von 2006, in dem eine Begegnung mit Franz Kafka in Prag beschrieben wird und “Die Ruhe selbst”, wieder aus Auferstehung, bildeten den ersten Zugabeblock.

Dass sich JANUS rechtzeitig um ihre Nachfolger Gedanken machen, sah man am drauf folgenden kleinen Intermezzo. Ein kleiner Junge kam mit auf die Bühne und spielte am Flügel einige Tonleitern und Notenfolgen, während RIG und Toby nur andächtig danebenstanden. Tosender Applaus der Zuhörer war der Dank für dieses Zwischenspiel. “Paulas Spiel” wurde nur von Violine und Vibraphon begleitet, während bei “Du siehst aus wie immer” wieder die ganze Band zugange war.

Unter vielen Verbeugungen wurde die Band gefeiert, als gäb’s kein Morgen mehr. Standing Ovations des gesamten Saales gab’s völlig zurecht. Nach nur kurzer Zeit kamen RIG und Toby allein wieder auf die Bühne und performten “Neunundachzig”, was eigentlich der Schluss gewesen wäre … aber RIG sagte den Gästen dass er sich es nicht nehmen ließe, den allerletzten Track “Anita spielt Cello” dem Publikum zu kredenzen. Wieder die KZ-Thematik; berührend erzählt das Lied die Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch, einem Mitglied des KZ-Mädchenorchesters.

Nun gab’s aber wirklich nichts mehr drauf, RIGs Stimme war sichtlich im Eimer und als nach erneuten Verbeugungen der gesamten Band alle von der Bühne gingen, blieb ein restlos zufriedenes, seliges Publikum zurück. Für Kyra und mich war es jeder Kilometer nach Mannheim wert, um dieses Erlebnis mit den anderen Fans zu teilen. Einziger Wermutstropfen aus meiner eigenen Sicht ist, dass mein Lieblingssong (neben “Saitenspiel”) “Schwarzer Witwer” nicht gespielt wurde, aber der Rest macht das bei weitem wett. So kann ich aufs nächste JANUS-Konzert hoffen … schon bald – nach JANUS-Zeitrechnung bedeutet “bald” allerdings vermutlich erst zum 35-jährigen Jubiläum.

Ein Konzerterlebnis, das seinesgleichen sucht.

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