„Es klingt schrecklich, wenn man es ausspricht.“

30 Okt „Es klingt schrecklich, wenn man es ausspricht.“

Kürzlich hatte JANUS‘ Haus und Hof Chronistin Gelegenheit per Mail ein ausführliches Interview mit der ebenso talentierten wie sympathischen Helena Masellis zu führen. Die in Italien lebende Comic-Künstlerin ist gerade dabei zusammen mit RIG JANUS‘ kommendes Opus „Terror“ in eine gut vierzig-seitige Graphic Novel zu verwandeln. Da haben sich die beiden ganz schön was vorgenommen. Um Helena etwas kennen zu lernen und zu erfahren, wie die Arbeiten vorangehen, hat Diana per Mail nachgefragt.

Helena, schön dass du dir etwas Zeit genommen hast. Du bist eine äußerst talentierte, aufstrebende Comic Künstlerin. Erzähle uns ein wenig über dich. Wie bist du mit Popkultur, insbesondere Comics in Berührung gekommen? Und weshalb hast du angefangen, selbst zu zeichnen?

Das ist schwer zu sagen. Ich war schon immer von Comics fasziniert. Gleich nachdem ich lesen konnte, begann ich Comics zu verschlingen. Ich erinnere mich daran, dass ich bereits in diesem Alter damit begann, selbst Comics zu zeichnen. Sie waren eine Art Tagebuch für mich. Ich malte kleine Geschichten darüber, wie es war, mit Mami zu backen oder was ich am liebsten alles mit den Lästerschwestern an meiner Schule angestellt hätte. Meinen ersten richtigen Auftrag bekam noch zum Ende der Schulzeit, da war ich neunzehn. Ich erinnere mich daran, dass ich kaum wusste, wie ich das Ganze bewältigen sollte oder wie man überhaupt eine Geschichte aufbaut. Aber ich hatte Gelegenheit mit professionellen Comicschaffenden zu sprechen, die mir sehr halfen. Das Projekt selbst verlief sich seinerzeit im Sande, aber es war eine wichtige Erfahrung für mich. Ich konzentrierte mich in Folge mehr auf Storyboards für Film und Fernsehen, was zu meiner Haupterwerbsquelle wurde. Aber nach einigen Jahren zog es mich zurück zu den Comics, als Inkerin und Assistenz für einen professionellen Comic-Künstler, was mir eine Menge gebracht hat und wofür ich heute noch dankbar bin. Ich habe seitdem einige Zusammenarbeiten mit verschiedenen Verlegern und Indie-Produktionen vorzuweisen, sowohl in Italien, wo ich lebe und arbeite, als auch im Rest der Welt. Jede dieser Arbeiten hat mich ein Stück weit vorangebracht. Es gibt so viel lernen, über sich selbst, über kreative Arbeit; Dinge, die man zuvor vielleicht noch ignoriert hatte. Und obendrein ist es immer großartig, mit Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen zusammenarbeiten zu können.

Was hältst du eigentlich von der Bezeichnung „Graphic Novel“? Ist nicht einfach alles nur ein Comic?

Am Ende sind das alles nur Worte, aber ich schätze die Bezeichnung „Comic Roman“ insofern, als dass sie die Erzählung als solche hervorhebt, deren Geschichte in diesem Fall eben eben mittels eines Comics erzählt wird. Ansonsten wird der Comic ja meist als fortlaufende Serie verstanden und nicht als etwas in sich geschlossenes.  Lange Rede, kurzer Sinn: ich halte zwar nichts davon, immer alles mit einem Etikett zu versehen, aber es macht vieles  einfacher, wenn man die Dinge beim Namen nennen kann.

Welcher Comic hat bei dir bislang den stärksten Eindruck hinterlassen und weshalb? 

Das dürfte für mich Noè sein, ein Comic von Stephane Levallois, der ganz und gar ohne Worte auskommt. Er basiert auf einem Traum, die Geschichte ergibt demnach keinen augenscheinlichen Sinn. Aber jedes Mal wenn ich Noè lese, entdecke ich neue Andeutungen und Details, die mir zuvor entgangen waren und die bei mir Gänsehaut auslösen. Meiner Meinung nach macht genau das die ganz spezielle Gabe der Comic-Kunst aus.

Wer sind deine künstlerische Vorbilder und Inspirationen?

Mein Lieblingskünstler, wenn ich denn einen bestimmen müsste, wäre ohne Zweifel Stephane Levallois, auch wenn ich immer auf der Ausschau nach neuen Inspirationen bin. Der künstlerische Ausdruck seiner Figuren, auch wenn sie oft nicht so stark ausdefiniert sind, wie bei vielen anderen Comics, ist einfach unglaublich. Ich wünsche mir,  einmal dasselbe Maß an künstlerischem Selbstbewusstsein in meinen eigenen Arbeiten zu erlangen wie Stephane.

HELENAS HAUPTSÄCHLICHER ARBEITSORT

 

 Hörst du eigentlich Musik während du zeichnest?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Zeiten, da höre ich nebenbei Podcasts, Zeiten, in denen ich die totale Stille bevorzuge oder eben auch Zeiten, in denen ich viel Musik beim Zeichnen höre. Eine feste musikalische Richtung bevorzuge ich dabei nicht. Wenn jemand im selben Raum ist, wenn ich zeichne, kann es sein, dass diese Person dann Indie-Folk, Hardcore, Instrumentalmusik oder sogar Spiele-Soundtracks zu Gehör bekommt. Unterm Strich ist meine bevorzugte Musik für die einsame Insel aber definitiv Post-Hardcore.

Wie genau arbeitest du? Gibt es bestimmte Rituale? Brauchst du eine spezielle Umgebung, Zeit oder Atmosphäre?

Ich neige dazu, viel auszutesten. Ich liebe es mit Pinsel und Tusche zu arbeiten. Dazu brauche ich meine Lieblingstusche, vielleicht ist das die einzige echte Einschränkung. Nicht jede Tusche ist zum Zeichnen geeignet. Ich male aber auch gerne mit Ölfarben und Pastellkreiden. Außerdem habe ich nach der Schule auch bald mit digitalen Medien gearbeitet, da ich schnell begann an ersten interkontinentalen Produktionen mitzuwirken und dort der reibungslose Austausch von Daten und schnelle Anpassungen sehr wichtig waren. Ohne digitale Technik kann man heutzutage im Bereich Comic kaum Fuß fassen. Am Anfang habe ich noch mein persönliches Arbeitsumfeld benötigt, aber seit ich viel am Tablet mache, das in jede Tasche passt und das man überallhin mitnehmen kann, hat sich meine Art zu arbeiten radikal verändert. Tatsächlich arbeite ich viel mehr im Freien, in Parks, Bars oder selbst im Zug, alles kann zum Arbeitsplatz werden. Weshalb sollte ich nur in den eigenen vier Wänden zeichnen, wenn doch die Welt da draußen so viele Inspirationen bereithält?

Da hast du recht. Man sollte immer offen für Neues sein. Kam in der Art auch die Zusammenarbeit mit JANUS zustande? Erzähl uns davon.

Das ist eine wirklich seltsame Geschichte. Ich war gerade auf dem Weg zum ersten Treffen mit der Mutter meiner besseren Hälfte, als ich die Anfrage zur Zusammenarbeit per Mail erhielt. Es war zu schön, um wahr zu sein. Zu Beginn dachte ich ernsthaft, es wäre eine Art Fake oder Joke, aber nachdem ich ein paar E-Mails mit RIG ausgetauscht hatte, kam heraus, dass es ernst gemeint war und dass JANUS gerne mit mir dieses immense Projekt namens „Terror“ starten würden. Ich wurde ihnen von einem befreundeten Künstler empfohlen, dessen Arbeit ich ebenfalls sehr bewundere. Es war einfach von Beginn an eine traumhafte Fügung.

VON DER SKIZZE (LINKS) ZUM FERTIGEN PANEL (RECHTS)

 

Warst du bereits mit dem Thema des Comics vertraut, der Franklin Expedition? Oder hast du noch spezielle Recherche betrieben?

Ich erinnere mich daran, das 2016 in Kanada eines der Schiffe gefunden wurde. Damals begann ich erstmals mich für diese Geschichte zu interessieren, denn ich besuchte zu der Zeit Nova Scotia und hatte die Geschehnisse direkt vor Augen. Danach las ich etwas mehr über die beiden Schiffe und die Expedition und tauchte tiefer ein. Alles an der Geschichte, von der jahrelangen Einsamkeit und Isolation im ewigen Eis bis hin zu den Anzeichen von Kannibalismus unter der Mannschaft, erschien mir äußerst faszinierend.

Ist es als Frau nicht langweilig eine schier endlose Geschichte vollgestopft mit nichts als alten, bärtigen Männern zu zeichnen?

Zur Hölle, nein! Ich liebe alte, bärtige Männer; sowohl als Motiv wie auch als Mann.

Es gab schon einige Versuche, sich künstlerisch der Franklin Expedition zu nähern: Bücher, eine TV-Serie, sogar Comics. Was möchtest du diesen Interpretationen mit deiner Kunst hinzufügen, das so vielleicht noch nicht erzählt wurde? 

Ich empfinde mich selbst jetzt nicht als fähiger oder besser als andere, um diese Geschichte zu erzählen.  Ich versuche einfach, ein wenig Poetik der Tragik der damaligen Vorkommnisse hinzuzufügen. Außerdem denke ich, dass ein weiblicher Blickwinkel aus dieser, ihrem Wesen nach ebenso megalomanischen wie zutiefst männlichen Abenteuergeschichte eine Menge Interessantes herausarbeiten kann.  Ich möchte, dass der Leser einerseits visuell in die Geschichte eintauchen kann, auf der anderen Seite aber auch die Verletzlichkeit und Verzweiflung der Protagonisten verspürt.  Man sollte sich zunehmend unwohl fühlen bei der Lektüre, aber dennoch ihrem Sog erliegen.  Das ist meiner Meinung nach etwas, das Bücher und Filme nicht leisten können in dieser Art. Das Buch zeigt nichts, alle Bilder entstehen im Kopf und wenn man aufhört zu lesen, pausiert auch die Geschichte. Der Film aber zeigt alles, er lässt keine Geheimnisse mehr. In Zeiten digitaler Bildeffekte kann er auch einen schalen Geschmack zurücklassen. Der Comic aber hat immer eine Balance zwischen dem, was er erzählt und darstellt und den Dingen, die zwischen den Panels liegen, die ungesagt und verborgen bleiben. Das hat er anderen Medien voraus, diese ganz spezielle Balance von Bild und Wort. Und ich möchte für die Leser der Überbringer dieser Balance sein.

EIN KLEINR AUSSCHNITT AUS DER GRAPHIC NOVEL TERROR

 

Was möchtest du, dass die Leser ganz am Ende, nach der Lektüre des Buches empfinden?

Ich wünsche mir, dass sie fühlen, was die Seeleute gefühlt haben, dieses Gefühl von Verlorenheit und absoluter Hoffnungslosigkeit. Ich merke gerade, dass das schrecklich klingt, wenn man es ausspricht, aber ich bleibe dabei: wenn es mir gelingt, diese Gefühle wach zu rufen, würde ich sagen, ich habe mein Ziel erreicht.

Nachdem, was ich bereits vom Comic sehen durfte, mache ich mir da keine Sorgen. In diesem Sinne: weiterhin gutes Gelingen!

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