Rezension – Vater – Home of Rock

13 Sep Rezension – Vater – Home of Rock

Vater ist ein Album, dass man nicht nach normalen Maßstäben messen und beurteilen kann. Hier geht es nicht nur um eine knappe Stunde Musik, sondern um ein Gesamtkunstwerk, dass Musik, Lyrik und Grafik umfasst.

Natürlich kann man auch einfach die CD auflegen und sich an der Musik begeistern. JANUS bieten acht abwechslungsreiche Songs die sich in der Schnittmenge von EBM und Gothik ansiedeln lassen und eindrucksvoll aufzeigen wie weit dieses Feld interpretiert werden kann. Das Spektrum erstreckt sich vom harten und heftigen ‚Exodus‘, über hymnenhafte, eingängige Tanzflächenfeger wie ‚Isaak‘ hin zur düsterromatischen Ballade ‚Saitenspiel‘.

Erfreulich ist hierbei ganz besonders, dass JANUS sich zwar eindeutig dazu bekennen, dass ohne Pro-Tools ihre Musik niemals in dieser Qualität und Perfektion möglich gewesen wäre, dennoch aber die ‚Band‘ weitestgehend für Gastmusiker und natürliche Instrumente öffnen.

Die Musik bildet jedoch nur einen Pfeiler der zur Faszination für Vater beiträgt. Das Grundkonzept von Vater beinhaltet, dass alle Songs sich mit dem Thema Beziehungen zwischen Eltern und Kindern auseinandersetzen und zu jedem Titel ein Gemälde des Grafikers und Comiczeichners Oliver Schlemmer geschaffen wurde.

Spätestens jetzt empfielt es sich aber das Medium zu wechseln. Das aufwändige Booklet enthält zwar alle Texte und Bilder zu den Songs, doch die Darstellungsform auf www.dunkelromantik.de ist auf jeden Fall vorzuziehen. Außerdem finden sich auf der Website zusätzliche Informationen zu den einzelnen Stücken, die mehr als hilfreich sind, um die nicht immer leicht verständlichen Texte in ihrer gesamten Dimension zu erfassen.

So erfährt man beispielsweise nur dort, dass Der Flüsterer im Dunkeln die Kindheit H.P. Lovecrafts behandelt, dass Saitenspiel den Moment beschreibt, in dem der Komponist Gustav Mahler sich mit dem Tod seiner Tochter auseinandersetzt und zu seiner 6. Sinfonie inspiriert wird, und dass Exodus auf Adam Czerniakov zurück geht, der als Leiter des Warschauer Judenrates 1942 den Befehl erhielt, täglich 6.000 ‚unnütze Juden‘ zur Deportation bereit zu stellen und nur im Selbstmord einen Ausweg sah: ‚Sie verlangen von mir, mit eigenen Händen die Kinder meines Volkes umzubringen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sterben.‘ (Aus dem Abschiedsbrief Czerniakows an seine Frau).

Mit „Vater“ haben innovative und ambitionierte Künstler ein außergewöhnliches, beeindruckendes, aber auch bedrückendes Werk erschaffen, das mich wie kaum ein anderes in der letzten Zeit fasziniert hat. Um so bedauerlicher ist es, dass JANUS damit kaum den Sprung aus dem düstersten Untergrund schaffen werden. Verdient hätten es RIG, Tobias und Oliver, und wer weiß, vielleicht gelingt es mir mit diesem Review ja, den einen oder anderen dazu zu bewegen sich auf das absolut lohnende Abenteuer Vater einzulassen.

Noch ein kleiner technischer Hinweis, der ein weiteres Beispiel für die Kreativität von JANUS liefert. Vater enthält mit Knochenhaus einen Hidden Track, doch dieser befindet sich nicht wie üblich nach viel heißer Luft am Ende des Albums, sondern zwischen Lolita und Exodus.

Martin Schneider

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